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Berg und Tal

Schreiben für die, die noch Fragen stellen

  • Autorenbild: Tanja Bädecker
    Tanja Bädecker
  • 17. Mai
  • 3 Min. Lesezeit

Ein Plädoyer für mutige Jugendliteratur in Zeiten der Vereinfachung

Von Tanja Bädecker




Manchmal werde ich gefragt, warum ich Jugendromane schreibe. Die naheliegende Antwort wäre: Weil ich junge Menschen mag, weil ich mit ihnen gelebt, gearbeitet, gestritten und gelacht habe. Die eigentliche Antwort ist jedoch: Weil Jugendliche noch nicht abgestumpft sind. Sie stellen Fragen. Echte, große Fragen. Fragen, die Erwachsene oft verlernt haben oder mit Zynismus abtun. Wer bin ich? Wem kann ich vertrauen? Was ist gerecht? Was ist Liebe – und was Macht?


Gute Jugendliteratur nimmt diese Fragen ernst. Sie macht sich nicht über sie lustig. Sie reicht keine Fertigantworten, sondern öffnet Räume. Räume des Denkens, des Träumens, des Zweifelns. Und genau das brauchen wir heute dringender denn je.


Zwischen Glitzerwelten und Gewaltfantasien

Ein Großteil dessen, was heute unter „Jugendbuch“ firmiert, entstammt entweder der Eskapismus-Ecke (reiche Erbin verliebt sich in verbitterten Vampir) oder der Schockpädagogik (postapokalyptisches Massaker mit Moralnote). Beides hat seine Berechtigung – wer wollte den Wunsch nach Ausbruch oder Katharsis jungen Leser*innen absprechen? Aber beides tendiert zur Vereinfachung: das eine ins Süßliche, das andere ins Brutale. Beides unterschätzt den Hunger vieler junger Menschen nach echtem Gespräch.


Wenn ich mit Jugendlichen spreche – in Schulen, Bibliotheken oder einfach im Zugabteil auf dem Weg zur Lesung – erzählen sie mir nicht nur von Liebesdramen oder TikTok-Trends. Sie sprechen über die Kriege in Gaza und der Ukraine. Über das Klima. Über Rassismus, Körperbilder, das Gefühl, ständig perfekt sein zu müssen. Sie spüren die Welt. Sie verstehen, oft besser als viele Erwachsene, dass wir in einer Zeit der Kipppunkte leben. Dass es auf sie ankommt.


Und genau deshalb braucht es eine Literatur, die nicht herunterbricht, sondern hinaufführt. Die nicht betäubt, sondern weckt.


Erzählungen mit Haltung: neue Beispiele

Zum Glück gibt es sie: die Jugendromane, die Mut machen – nicht durch falschen Trost, sondern durch Tiefe. Ich denke etwa an Alice Hasters' „Identitätskrise“, das zwar kein Roman im klassischen Sinn ist, aber in vielen Schulklassen inzwischen diskutiert wird – zu Recht. Hasters’ Stimme ist klug, respektvoll und fordernd zugleich. Sie spricht Jugendliche nicht mit Slang, sondern mit Ernst an.

Oder an Shida Bazyars „Nachts ist es leise in Teheran“, das inzwischen auch in jüngeren Jahrgängen gelesen wird. Kein „Jugendbuch“ im Etikett, aber in seiner klaren Sprache und seiner politischen Dringlichkeit ein ideales Buch für junge Erwachsene. Solche Übergangsbücher, die sich nicht anbiedern, sondern zumuten, sind für mich das Beste, was Literatur leisten kann.


Auch internationale Stimmen werden lauter. Angie Thomas’ „The Hate U Give“ ist mittlerweile ein moderner Klassiker: ein Roman über Polizeigewalt, Identität und Widerstand, der Jugendlichen zutraut, politische und moralische Ambivalenzen auszuhalten. Und Bücher wie „A Good Kind of Trouble“ von Lisa Moore Ramée oder „Butterfly Yellow“ von Thanhhà Lại** bringen migrantische Perspektiven in die Regale – nicht als Fremdheitsschock, sondern als Teil unserer Wirklichkeit.


Schreiben als Angebot, nicht als Instruktion

Ich glaube nicht an Erziehungsromane. Literatur, die mit dem erhobenen Zeigefinger daherkommt, wird von Jugendlichen zu Recht ignoriert. Diese Art von Literatur nenne ich Pädagogik bzw. plumpe Parteipolitik mit anderen Mitteln. Dafür gab es früher ein Wort: Agitprop, wie es in der Sowjetunion hieß. Z.B., Wie der Stahl gehärtet wurde und Konsorten. Welcher Erwachsene würde so etwas freiwillig bzw. mit Freude lesen? Aber ich glaube an einladende Literatur – an Texte, die Welt anbieten und zur Auseinandersetzung einladen.


Als ich den ersten Band meiner Afrikachronik, „Afrikaflug“, geschrieben habe, wollte ich keine Heldensaga liefern. Ich wollte erzählen, was es heißt, als junges Mädchen zwischen zwei Kulturen aufzuwachsen – zwischen deutscher Schule und tansanischer Weite, zwischen Rationalität und Magie, Verantwortung und Unsicherheit. Und vor allem wollte ich zeigen, dass der Blick über den Tellerrand nicht zur Selbstbestätigung dient, sondern zur Selbstveränderung.


Was ich mir wünsche

Ich wünsche mir für die Zukunft mehr Jugendbücher, die sich etwas trauen. Die weder Angst vor Emotion noch vor politischer Klarheit haben. Ich wünsche mir Geschichten über queeres Leben in ländlichen Regionen, über Jugendliche mit Fluchterfahrung, über junge Menschen, die gegen Umweltzerstörung kämpfen oder gegen patriarchale Familienstrukturen aufbegehren – und dabei nicht als „Problemfälle“, sondern als denkende Subjekte dargestellt werden.


Ich wünsche mir Verlage, die solche Bücher nicht nur in Nischen drängen, sondern offensiv in die Schulen bringen. Und ich wünsche mir Autor*innen, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind – ohne belehrend zu werden.

Denn wer für junge Menschen schreibt, schreibt nicht für eine Zielgruppe. Er oder sie schreibt für die Zukunft. Und Zukunft entsteht nicht durch Rezepte. Sondern durch Fragen. Und durch den Mut, sie offenzulassen




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