„Weißer Genozid“? Was wirklich in Südafrika passiert – und was daran gefährlich ist
- Tanja Bädecker
- 19. Mai
- 3 Min. Lesezeit
Von Tanja Bädecker

Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass die US-Regierung unter Donald Trump rund fünfzig weiße Südafrikaner*innen als „politische Flüchtlinge“ aufgenommen hat – mit dem Argument, sie seien Opfer eines „weißen Genozids“. Dieser Ausdruck, der auch von Elon Musk immer wieder ins Spiel gebracht wurde (selbst Musks eigene KI-Plattform, Grok, verbreitete diese Verschwörungstheorie – vermutlich auf seine persönliche Anweisung hin – für einige Stunden), ist nicht neu. Aber er ist gefährlich. Und falsch.
Ich habe mehrere Jahre in Südafrika gelebt, gearbeitet und berichtet. Ich habe mit weißen und schwarzen Farmern gesprochen, mit Township-Bewohner*innen, NGO-Aktivist*innen, Lehrer*innen und Studierenden. Und ich kann sagen: Die Lage in Südafrika ist komplex, schmerzhaft, voller ungelöster Konflikte – aber sie ist kein Genozid. Und es ist zynisch, das Gegenteil zu behaupten.
Was ist eigentlich ein Genozid?
Die Vereinten Nationen definieren Völkermord als die gezielte Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören – sei es durch Tötung, schwere körperliche oder seelische Schäden, systematische Geburtenverhinderung oder andere gewaltsame Maßnahmen.
Davon kann in Südafrika keine Rede sein. Ja, das Land leidet unter extrem hoher Gewaltkriminalität – quer durch alle Bevölkerungsgruppen. Die Mordrate liegt bei über 40 pro 100.000 Einwohner*innen – eine der höchsten weltweit. Weiße Farmer*innen sind davon betroffen, oft aufgrund ihrer isolierten Lage. Aber das bedeutet nicht, dass sie gezielt als ethnische Gruppe ausgelöscht werden sollen.
Gewalt und Rhetorik – aber kein Plan zur Auslöschung
Zahlen des South African Police Service belegen, dass es 2022/23 insgesamt 56 Farmmorde gab. Die Mehrheit der Opfer ist weiß, was historisch mit der Landverteilung zusammenhängt. Es gibt dabei Fälle mit rassistischer Rhetorik – ja. Es gibt Wut, Angst, Verzweiflung. Aber keine Beweise für eine koordinierte Kampagne mit dem Ziel, weiße Südafrikaner*innen als Gruppe zu vernichten. Das bestätigen auch unabhängige Organisationen wie das Institute for Security Studies.
Landreform – eine notwendige, aber schmerzhafte Debatte
Was die Lage zusätzlich emotionalisiert, ist die Debatte um Landreform. Seit dem Ende der Apartheid versucht die Regierung, das strukturell rassistische Erbe der Landverteilung zu korrigieren: Bis heute besitzt die weiße Minderheit – weniger als 9 % der Bevölkerung – knapp 70 % der landwirtschaftlichen Fläche. Dass dies zu Spannungen führt, ist nachvollziehbar. Dass es politische Akteure wie die EFF gibt, die mit aggressiver Rhetorik agieren, ebenfalls.
Aber: Es gibt keine Gesetzgebung oder Regierungspolitik, die auf die Vernichtung weißer Menschen abzielt. Expropriation ohne Entschädigung wird diskutiert, ist aber bisher selten angewandt worden. Und in den meisten Fällen geht es um ungenutztes Land, nicht um gewaltsame Enteignungen.
Was mich wirklich erschreckt
Was mich als Journalistin und ehemalige Entwicklungshelferin aber zutiefst beunruhigt, ist der geopolitische Zynismus, mit dem dieser Mythos jetzt instrumentalisiert wird. Während zehntausende Menschen im Gazastreifen und in anderen Regionen der Welt unter tatsächlichen Kriegsverbrechen leiden – und dabei kaum Aussicht auf Asyl oder Anerkennung haben – inszeniert man in den USA weiße Farmer*innen als politische Märtyrer.
Und genau das ist die Perfidie des Begriffs „weißer Genozid“: Er tut so, als sei die weiße Minderheit in Südafrika heute Opfer – und ignoriert dabei die Jahrhunderte realer Gewalt, die bis 1994 staatlich organisiert war. Er lenkt ab von den realen Problemen im Land – Armut, Korruption, systemisches Versagen – und gießt Öl ins Feuer eines rassistisch aufgeladenen Diskurses.
Was wir brauchen: Klarheit statt Panik
Südafrika steht vor enormen Herausforderungen. Gewalt, Ungleichheit, politische Lähmung – all das ist real. Aber wer diese Probleme ernst nimmt, darf sie nicht mythologisieren. Wir brauchen Lösungen, keine Legenden. Und wir brauchen eine Sprache, die komplexe Verhältnisse beschreibt – nicht eine, die sie zur Waffe macht.
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